Schrödingers CO2-Speicherung

Erwin Schrödingers viel zitiertes Gedankenexperiment, welches auf zu vielen Partys von Hobbyphysikern zur Auflockerung in den Raum geworfen wird, besagt Folgendes: Befindet sich in einem Karton eine Katze sowie ein instabiler Atomkern, der die Freisetzung von Giftgas bewirken kann, so ist die Katze in einem beliebigen Moment tot und lebendig gleichzeitig. Solange man nicht hineinsieht, weiß man es nicht - beide Zustände sind wahr.

Für mich ähnelt dieses Beispiel der immer emotionaler werdenden Debatte rund um den Einsatz von Speicher- und Nutzungslösungen für Treibhausgase, allen voran Kohlendioxid. Der mittlerweile bekannte Begriff dafür lautet Carbon Capture & Storage (CCS), noch größerer Beliebtheit erfreut sich CCU, wobei das ‘U’ für ‘Utilisation’ steht, also Nutzung des Treibhausgases. Schrödingers Katze umgelegt auf die CO2-Speicherung bedeutet, dass man sich gleichzeitig nicht sicher ist, ob man sie braucht und ob man sie überhaupt zur Verfügung hätte. Ich meine: Je länger man mit der aktiven Abkehr von fossilen Energieträgern zuwartet, desto dringender braucht man die Technologien und desto weniger stehen sie zur Verfügung.

Verbreitet ist jedenfalls mittlerweile die auch wissenschaftlich gestützte Ansicht, dass sich durch Maßnahmen wie Energieeinsparung und vollumfassende Nutzung erneuerbarer Energien, eine Restlücke an ausgestoßenen Treibhausgasen, die aufgefangen und gesichert gespeichert oder genutzt werden müssen, ergibt.

Ich möchte an dieser Stelle einmal ein paar offen recherchierbare Zahlen in den Raum werfen und zur besseren Beschreibung dieser “Restlücke” in Kontext bringen. Der Einfachheit halber (und auch als beschönigende Maßnahme, die Zahlen werden sonst noch drastischer) berücksichtigen wir nur CO2. Der Ausstoß an Kohlendioxid aus fossilen Energieträgern und der Industrie sowie der Landnutzung liegt jährlich bei rund 41 Mrd. Tonnen. Der Weltklimarat berechnet zudem jene Menge an CO2, welche die Menschheit noch emittieren darf, um bestimmte Szenarien (1,5 °C oder 2 °C Ziel) mit gewissen Wahrscheinlichkeiten zu erreichen. Eine sehr anschauliche und aktualisierte Darstellung findest du hier. Aus dem jährlichen Ausstoß und dem verbleibenden Budget wird die verbleibende Zeit berechnet, die der Menschheit bleiben, um das Ruder herumzureißen. Für 1,5 °C liegt man hier bei etwas über 6 1/2 Jahren (in industriellen Maßstäben also übermorgen), bei 2 °C bleiben über 24 Jahre.

Soviel also einmal zum Status Quo. Der Hut brennt, das weiß inzwischen auch jede:r. Nun gibt es im Grunde nur eine einzige Möglichkeit, den Klimawandel nicht weiter anzuheizen: keine weiteren Treibhausgasmoleküle mehr der Atmosphäre zufügen. Das Budget für 1,5 °C beträgt massenmäßig knapp über 280 Mrd. Tonnen. Jede weitere Tonne ist ab dann (plakativ gesprochen) zu viel.

Nun arbeitet die Menschheit (zumindest theoretisch) akribisch daran, den primären Ausstoß von CO2 so gut es geht zu minimieren. Das Problem, das auf der Türschwelle wartet, ist jedoch jenes, dass die schiere Menge an CO2 jenseits jedes Vergleiches ist. Würden die Emissionen auf dem gleichen Niveau verweilen (derzeit steigen sie leider wieder), so beträgt jene Menge CO2 die nach 6 1/2 Jahren zu viel ist, also nachträglich aus der Atmosphäre entfernt werden muss, dem kompletten jährlichen Ausstoß. Also derzeit über 40 Mrd. Tonnen. Dieses Faktum ist augenscheinlich und logisch, jedoch wird dem viel zu wenig Beachtung geschenkt. Soviel zur Restlücke.

Viele Organisationen, auch einige aus dem Umweltschutzbereich, und vor allem Politiker:innen bedienen das folgende Narrativ: “Wir reduzieren den Ausstoß an CO2-Emissionen mit allen Mitteln, was man nicht auf 0 bringen kann, muss eben entfernt und gespeichert werden.” Erstens stimmt es aber augenscheinlich nicht, dass mit allen Mitteln reduziert wird und zweitens ist die Menge an CO2 so groß, dass die Möglichkeiten zur Entfernung und Speicherung der jährlichen Menge außerhalb jeder Reichweite stehen. Laut der Internationalen Energieagentur werden derzeit jährlich 45 Mio. Tonnen entfernt — also etwa 0,1 % der ausgestoßenen Menge.

Ich möchte an dieser Stelle noch meine Meinung zum grünen Image von CCU kundtun. Angenommen, Kohlendioxid entsteht durch Nutzung eines fossilen Energieträgers oder prozessbedingt (Zementindustrie) und wird direkt nach dem Prozess aufgefangen und in ein “grünes” Produkt umgewandelt, sei es Treibstoff, Kunststoff oder ähnliches. So ist die Bilanz des Gesamtprozesses nur solange klimaneutral, bis der Treibstoff verbrannt ist oder der Kunststoff irgendwann doch in der Müllverbrennungsanlage landet. Und das tut er leider irgendwann — mit steigendem Vermögen im Recycling vielleicht immer später aber irgendwann bestimmt. CCU ist deshalb nur dann klimaneutral, wenn Kohlendioxid vorher aus der Atmosphäre gefiltert wird. Das immer stärker aufkeimende Schlagwort “carbon positivity” kann hingegen nur dann bedient werden, wenn am Ende eines Prozesses weniger CO2 in der Atmosphäre ist als vorher. Das wäre es beispielsweise dann, wenn Biomasse in einem Prozess genutzt wird und das entstehende CO2 gesichert gespeichert wird. Die derzeitigen Kapazitäten dafür sind aber, gelinde gesagt, überschaubar.

Über die verschiedenen Technologien von CCUS werde ich einen eigenen Blogpost verfassen, hier nur noch ein kurzes Resumé:

  • Man wird enorme Mengen an Kapazitäten für CCUS brauchen, einfach deshalb, weil die “Restlücke” ab Überschreiten der Budgetgrenzen dem kompletten Ausstoß entspricht.

  • Gleichzeitig darf man sich nicht dem Irrglauben hingeben, dass CCUS am Ende ein fossiles System retten kann. Hierfür sind die Emissionen viel zu groß.

  • Einzige Möglichkeit ist deshalb die drastische Reduzierung der Nutzung fossiler Energieträger bei gleichzeitiger Erforschung der CC&-Technologien.

Um Schrödingers Karton wieder der Katze zu überlassen sei gesagt: Wir brauchen disruptive Technologien und sollten darauf hoffen, sie im besten Fall nur in geringem Ausmaß zu benötigen.

Bis dann!
Lukas

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